Im Jahr des Schweins. Neue Gedichte

1

Schimmriger Fels, von Kälte gepflügt –
die notwendigen Übungen kommen
zuhauf. Zuhauf: Quereinsteiger, gesucht (keine Ahnung):
Wer bietet? Das wird
kein Endspiel, kein Stein-Erweichen, kein

Kreuz-und-Quer, geht-so,
geht-doch, ins Schwarze und Weiße,
je nun. Nach dem W,
gleich hinterm V geht es ab –
kein-X-für-ein-U, glattwangig, fest: die großen Drei.
WerWenWohin. Laber-Säcke beim Frühstück:
halb kalt das Ganze, verdrückt
auf die Schnelle. Sowas
schlägt durch, auch
auf den Gesang. Den sowieso.

Angereist, Freunde, bei
Neumond, am oberen Lago
friert es noch mächtig im Jahr
des Schweins. Nein,
eins später, das strahlt.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

2

Alles ist offen. Beizeiten rechts
um die Ecke bleckt
das rostige Türchen. Stoß auf. Bitte
nichts anfassen. Handschuh? Lass liegen, scheiß drauf.
Je nun, es läuft. Munter. Zicklein auf weißem Fels,
zierlich das Hüfchen. Es läuft, sag ich,
schwer zu verbergen,
warum auch?
Alles versifft. Aperto. Kein
Geheimnis haben ist das Geheimnis.

Mir liegt viel dran, also von vorn:
Reg dich nicht auf. In unruhigen Zeiten –

VERPISS DICH, KÖTER!

Entschuldige, rüde
muss einer hier sein. Dein Dach fürs erste. Der Mief
stammt noch vom Winter, vergiss es.
Die Ruhe selbst, das wolltest du doch.
Im Jahr des Schweins Erster Teil

3

Das wolltest du doch. An ne? Jetzt nicht.
Das sind Spiele, die keiner
gewinnt. Gewiss.
Hier nicht. Der Schall, zwischen den Felsen,
bricht sich, o.k. Motocicliste auf Rundkurs, das
lässt sich gut an. Saugut. Verpiss dich, Köter: wem gilt
das? Net meditiere. Bereit sein. Das Blatt, leer oder nicht,
ist nur ein Blatt. Eins mehr, eins weniger, darauf
kommt es nicht an. Wie du es wendest, darüber
freut sich der Wind. Vor allem hier. Ciao amigo, wir sehn uns.
Du hast noch –? Nur heraus, nur
heraus...
Europei?? Ja sicher. Kein
Gefühl für die Lage, das geht
weit zurück. Rede dich klug. Die Tonne
steht dort. Sorry, ich muss.
Im Jahr des Schweins Erster Teil

4

Keine Gewalt! Nicht hier
zwischen den Felsen. Das da
war mal ein Dorf, heute
blickt man zurück. Wer kommt, ist genehm. Die Schänke
ein Stück Wald mit Bemalung. Der Rest
frisch renoviert. Wer kommt, fährt,
wer fährt, kommt. Oder auch nicht. Einer vertritt
dem andern die Füße, das scharrt. Keine Zeitung hier oben. TV only.
Reine Natur. Nun, wer’s aushält,
kriegt eine Prämie. Kunst
liebt das: Waldeinsamkeit.
Manche Familie auch. Solide Schlucker
auf der Suche nach Reichtum. Innen,
wo sonst? Frage: Wo sonst? Die Maus da vorn
kennt das Problem, hat es für sich
beinah gelöst. Arme Natur. So reich, so
schutzlos.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

5

Anna Karenina, laut:
AN-NA-KA RE-NI-NA...! Das hallt. Geschrei von oben:
Sie ihist gerähächt. Reitet
Europens Stier, Feldmaus ahoi, landein.
Wir mit! Dreh um den Stein,
bevor du ihn wirfst, alte Devise.
Schau schau, Gewimmel, gleich
hat es sich. Nimm den Moment, altes Haus,
nimm ihn mit. Leichte Bürde. Bin nicht scharf drauf, hatte
mal glatten Schlaf.
Du auch? Schau schau. Dass wir uns nicht...
Täuscher, Dreckskerl. Poltert
nur so in die Tiefe. Schlägt auf,
irgendwo. Die Finger macht man
sich schmutzig an sowas. Schleicht sich
ein, was
soll das?
Glaub nicht, du wüsstest,
wie mich das nervt.
Bsss bsss bsss... Das gibts nicht. Um diese Jahreszeit: no.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

6

Wie du geworden, so bist. Schnappschuss. Beim Steigen keucht,
was blieb. Restlos zerkocht, das wird
ein Fest- ! ›Nonmuskulär.‹ Wer hat das gesagt? Fahr nicht auf,
nicht hier, meiner Seel, das wäre
nicht Standard. Ein schöner Gespräch
am Rand des Bassins, kein Schlucker
pflügt diese Wogen. Der letzte hat schon, das kommt
der Sache näher, mit großer Eile, mancherlei Kurven
muss einer nehmen, den es nach Ankommen dürstet.
Gewusst wie! Unterm gehauten Lukas
krümmt sich der Staub. ›Das war mir
so nicht klar.‹ Aha. Wie gespuckt, so zerronnen.
Bieder bist geblieben, ein Leblang. Die Post
schaffen andere bei. Eulalie. Muss fallen, muss fallen. Diese Bastion
ist das Schärfste. Sag, was du willst, zwischenhinein
tragen Stärkere auf. Mehr Arbeit, mehr Segen.

(– Und wäre ich entsetzt, was könnt ich tun?
– Du könntest tun, was du schon immer tatest
und mir die Zeitung bringen, die ich les,
solang ich denken kann. Verdrück
dich, Uhu.

Take a mission.)

Im Jahr des Schweins Erster Teil

7

Verwirrt sein, Lieber, verwirrt... Nicht so einfach.
Sagen wir so: das Verwirrte
macht keinen Staat. Hier unten zum Beispiel
kneift es beträchtlich. Altes Denken! Gaanz
altes Denken!
Vergiss die Schoten. Platz, Hund.
So ein Wirrkopf hat Macht. Saugt sie ab. Irgendwie. Wo zum Teufel...
der Strohhalm. Ah, hier. Gut. Alles passiert so. Und so. Und so.
Auf Linie bringen. Soft media, verstehst... Ja. Nein. Ganz so dumm
ist hier herum keiner. Vergiss das. Der Osten, mein Bester,
spukt in den Köpfen. Wie? Natüürlich, das machen wir
anders – ?? – Habs bemerkt. Diese Leitung
rauscht furchtbar.
Schlecht gewartet. Verwirrt, was ich sagen
wollte. Jaja. Leg nicht auf, leg nicht auf. Ist ja erträglich, komm, lass,
lass uns reden. Jawohl, lass uns... reden... aber...
warum nicht? Und wer zahlt...? Genial. Das Modell
merk ich mir. Bon.
Arschkalt hier oben, der Rest
stimmt. Nein, keine Kneipe, die fehlt.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

8

Das Ich stärken: sagt
sich leicht. Wenn du mich fragst – fast
so leicht wie das andere: Wie bekommt man
Ich aus den Köpfen? Der tägliche Aufstieg
zum See hilft sehr, in beiderlei Richtung.
Also, was ist: Kommst du mit? Heute
will ich ich sein, morgen
find ich es furchtbar. Raus hier, raus aus der Haut:
Farne finden sich satt, das Moos, unser aller, trieft,
wenn du es anfasst, läuft es sich leer.
Der Appetit kommt beim Essen, nichts stärkt
so ein Ego mehr als es selbst, nur die Blase besteht
auf pünktlicher Leerung. Was sagt –? Ach, zum.
Neinnein, der Weg
fordert den Mann. Oder die Frau. Den Labrador? Auch. Meinetwegen.
Ein Stausee über den Köpfen, gute Güte. Darauf
muss man erst kommen. Obwohl, recht bedacht:
Wo sonst? Wo sonst, frage ich.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

9

Du hörst nicht zu, alter Fuchs. Das konnte ich mir...
konnte ich mir...
konnte ich mir...
denken. Sieh nach.
Verdreckter Schellack. Ja, die Zeiten. Im Eckschrank
liegt mehr. Fundstücke, ganze Haufen. Bedien dich. Kultur holt uns,
womit immer. Kratzt sich durch. Holt auch dich ein, gibs zu.
Die herrlichen Zeiten des Nachkriegs,
wohin gegangen? Entschwunden? O nein.
In den Köpfen, da da, gleich
neben dem Wurm, tickt das Begehr,
tickt nach Erhörung. Unerhört. Affenstark. Aber –
brav! Nun, wenn ich brav bin, das gibt
den Pfennig doppelt, das reicht zum Frühstück
bequem um die Welt. Und zurück,
auch das. Wo, zum Teufel, bleibt
die Mutter aller Gedanken, die immer berechtigte
Wut? Sei empört, so
schaffst du es schneller, denn druckvoll
ist der Verkehr. Ungeduld steigt
aus Verstopfung. Ein kleiner Reformstau
im Frühling sprengt
Dämme, bei weitem. Bei weitem. Brüder! Freunde!
Ein gesegnetes Mahl und eins
in die Fresse, das staubt.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

10

Apropos Fresse. Kein Blatt vorm Mund, das
schadet dem Timbre. Aber beträchtlich. Im Paparadeis
der Taräume schleiheift die Gemeinschaft

den Lack von den Brettern. Alles roh! Von der
Nadel im Heu: keine Spur. Wo blieb...? Teufel auch. Keine Frage,
ein echter Bleiber. Wem die Spucke wegblieb, wie soll
so einer anpacken? Dem
kann eines nachhängen bis. Verblüfft, woll? Her mit der Suppenschüssel,
sie braucht den Haken. Hier im Gebirg schlägt die Erwärmung
nicht so zu Buche. Der Lago äugt still, er kriegt
den Abfall, das reicht, klar: so recht toben
kann er nicht mehr. Seit seinem Anfall
übt er Verstand. Auch Nachsicht. Über Milde
reden wir später. Ein Wagsal
ordert das nächste, online
rennt das Kind durch, bis Fürstenfeldbruck und retour
reicht die Spur der Verzweiflung.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

11

Sei gewieft, alter Freund, sei gewieft. Kein Quer-
schnitt lähmt prächtiger als der Sitz
im Leben, das, das
kommt nicht allein
über die Berge, es kömmt aber,
ganz von allein, überallhin. Das Kommen,
eine Eigenschaft, rar,
europäisch. Settentrionale. Spritztour
ins Blaue. Saufen, bis es vorbeigeht. Old China vielleicht
kannte Vergleichbares – bis zum Verbot
vierzehnvierundzwanzig war dort
noch alles drin. Schau, das Blatt der Akazie
fein gezeichnet, hat sich gewendet, abrupt. Ruppig, mein Freund,
geht es zur Sache, es stürmt, seltsam berührt es, den See
gelassen zu sehen, von allen guten
Geistern verlassen, die Fähre zieht,
was man Bahn nennt, die Schleppe wächst. Drüben, da macht
einer die Fackel.
Alter Mann, sternübersät, Teufel,
ein Wind auch. Sein eigen Wort, dazugelegt, niemand
merkt sich die Namen. Falsch Zeugnis, wofür? Diese Flasche
ist schnell geleert, dunkel stürzt der Durst
in dunklere Tiefen.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

12

Die tiefen Züge –: Wind auch,
Sturm, gelegentlich, keine Jahreszahl, rot
im Kalender des Überlebens, aber
Mitte des Neunzehnten wie so oft, Yenidse I, unter anderm. Geschenkt
wird nicht, geschenkt nicht, höchstens getauscht. Das heftig.
Mitte der Menschheit, ein Zweitherz wächst
hier, gut sichtbar, zwischen den Flügeln. Cœur double. Das Individuum, das da,
reift mit der Sucht. Reif ist alles,
was Nägel...
Reif für das Wunder. Ichsucht
greift sich den Stengel. Sucht/Suche, das Zwillingsrohr, puh,
ein dröhnendes Duo. Den Abschluss suchen
über den Hügeln. Dort, der Punkt. Wo ein Rauch
aufsteigt, steigen, Zug um Zug, auch Bedenken. Gern
wüsste man mehr... Poesie pur, ein Glimmen, Koseform des Gewissens:
Schwamm drüber, im langen Prozess
des kurzen Jahrhunderts kam
dieses sich näher. Leben ist kostbar, ein Dreck. Weh einem,
das sich, lustig, in eines versah: sobald Nachsicht
den Blick trübt, schnappen Harpyien zu.

Im Jahr des Schweins Erster Teil

13

Nicht an einem Tag wurde das siebentorige Theben
erbaut, nicht an einem... Leute, ihr kommt
alle ins Bild, Drängeln
ist nicht vonnöten, nicht von Nöten, so gerecht
geht es zu. Aber halt. Sollte es sein? Sollte es möglich
sein, auf leisen Sohlen, pp., läppisch die Blendung?
Kein Ödip säubert den Plan. Was die Eisernen
nicht erreichten, gewinnt unter uns
leicht an Statur, ich bitt’. Dunkel bleibt
der Sinn allen Tuns. Also nochmal.
In brennender Einfalt. Bei Tells nebenan
streikt, als ginge es anders,
seit Tagen die Spülung. Defunctus. Ein Spuk im Gehör. Was mag...?
Bedeutung, bewegliches Gut. Auch gut. Die viele
Bewegung verdeckt, wie man weiß, den Stillstand der Herzen.

Tödlich, alter Kater,
sind deine Ausgänge doch, das freut
manche Herrin und lebt, gut,
wie es lebt. Gute Güte. Im geschmeidigen Cerebrum wacht
stecknadelgroß die Garotte. Zum Gedächtnis, mag sein.
Im Jahr des Schweins Erster Teil

14

Die erzene Stimme
ertönt des Bemoosten:
... wo aber find ich? Gut bemerkt. Gern hätte
ich einen Krieg entfesselt,
ein Mal, einen
Sprachkrieg, ernsthaft, in dem
keine Seite gewinnt. Schwamm drüber. Andere Frage: Wer
untersucht diese Fälle von plötzlichem
Tod wirklich, i.e. mitten im Sprung, wenn
das Gesagte hereintritt, nicht die Spur von Verlegen-
heit im Gesicht, dem gebräunten?

So ist es. Der Chok, ungerupft, wie
kommt er davon? Unter Geschockten tut sich
so ein Kandidat schwer. Sei ehrlich,
ein Verlust an Tatsachen etwa
lässt sich leicht herstellen, dazu bedarf es
kaum eines Grunds, das wäre dann ja
ein Grund mehr. Zwei Gründe
sind einer zuviel. Aber –
in Ordnung. Zorn häuft. Sein gutes Recht,
unbenommen wächst es sich aus. (Ver-)Geltung auch. Von der
Bettkante gestoßen,
ein Griff
ins Leere verändert die Welt, fragt sich nur –?

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

15

Europa wächst. Sagt man. Ein Unkraut, aus starren Felsen
sprießt diese Form, von harten Händen
kunstvoll massiert. Europa wächst. Wohin?
Die Frage bleibt. Doch erlaubt
das historische Unrecht mancherlei
Antwort. Auch ein entschiedenes Nein. Ja gewiss.
Am Nein wachsen, ein Vorteil,
keine Frage. Nur zu, eine letzte.

Zu Wachs werden
ist auch eine Kunst. In wessen Händen? Das kann Helene
druckvoll beschreiben. In ihrem Büro
streicht sie wie, andere Brötchen: Interessen. Im Abendland
fühlt sie sich wohl. Wallfahrt
ins Blaue, unter Gesang.
Wenn auf der Terrasse
der Sturm wütet und vertrocknete Algen
gegen die Scheiben wirft, kann sie erzählen ... mit dieser Flüster-
stimme, die alle betört – nicht Toren allein, behüte –... doch kriegt sie, sobald
die Versbüchse kreist, einen Zuschuss.

Dann erhebt sich Europa – gewaltig
reckt sichs, unter ’ner Persenning, die auch den Himmel
abdeckt: den Himmel über Europa,
in dem seine Heiligen Schabernack treiben,
ganz wie zu Halloween, wenn die Kleinen das Bett meiden, oder
beim nächsten Mal, wenn vom erworbenen Gut
der Putz fällt und in der Verdunkelung
befremdliche Dinge geschehen, ein Alb.

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

16

Bang, bangen, Bängnis: das hat
keines dem andern voraus, das kommt
ganz von allein. Ganz von allein. O nein, alter Rebell:
keine Abfindung trifft
den Kern des Bedenkens, losgezogen
allein oder mit anderen, da liegt
schon der Unterschied. Im Katechismus der Taten
wiegt, Freundchen, ein Großmaul
hundert Bedenken auf, denk nur, dass ein Gedöns
aus den Zapfsäulen läuft, direkt aus der Wüste,
in alle Boxen, daheim und abroad. Abgefüllt wächst
das Verlangen nach Füllung. Anderes auch, aber
farblos. Ohne Geruch. Füllt die Luft vielleicht
auf, bis sie platzt. Irgendwann. Sie hat ihre Zeit,
wie alles.

Was soll das? Da waren wir weiter.

Grillen mögen es heiß, ihr Zirpen fördert
aktiv die Welt, und an den Küsten – liest man –
steigt die Flut. Topisch ist das alles, mein Gott,
das holt keinen Hund hinterm Ofen, bevor
er nicht verkohlt ist, was, als Zeichen bewertet,
nicht viel besagt. Das will
nicht viel besagen:
kein schöner Satz
schmückt, im Vorbeigehn, die Richter.

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

17

Der Bösewicht ist
beseitigt, nun
beginnt der Rückbau des Bösen. Täglich weniger
Böses getan, bedeutet
die Rückkehr des Guten. Des Guten zuviel... Das
wäre zu einfach. So
geht es nicht. Geht es nicht, eher
stockt es so. Gegen vieles
wehren wir uns und
wenn alles stockt, dann werden
die Guten böse. Wir müssen schon Rücksicht
auf sie, die Guten, nehmen, die so leicht böse
werden, dass wir, die Gutes
wollen, nicht böse enden wie andere
vor uns, die auch nur
versuchten gut zu sein, wir aber
wollen mehr, denn, zum Teufel:
Hiersein ist herrlich. Dortsein
ist anders, mag sein, das wissen die anderen
besser als wir, doch sollten sie wissen:
nemo put’ sin basil.

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

18

Dieser Film, hinreißend
in seiner ... ägyptischen ... Kahlheit,
neinnein, eher mesopotamisch, der Nil
gibt ein anderes Fieber. Hinreißend, wie gesagt.
Uns beeindruckt am meisten
die Losgekaufte. So ein Wahnsinn
lässt dich nicht los. Zieht los, zieht einfach los, da ist
Druck drauf. Kommt aus der Kleinstadt. Naja,
man kann sie verstehen. So eine fürchtet sich nicht
und wenn doch, hält sie’s nicht auf.
Pathologisch, wenn du mich fragst. Aber
sind wir nicht alle ein bisschen...? Das Leiden,
das zierliche Leiden, es drückt auf die Tube.
Wer sich ausquetscht, der hinterlässt
die Welt reicher. Ein bisschen. Oder weniger
zerstört, was auf dasselbe...
Schiebt den Untergang
still ins Futur.
Diese Verschiebung
ist lange in Gang. Tektonisch. Zwischen Futur und Futur
klafft eine Lücke. Nur kurz Entschlossene
können sie schließen. Für solche
gibt’s den Jeep gratis. Die Welt neu erfinden: alles andere
hält auf. Führt zu Stockungen und
fördert den Krebs. Den vor allem. Am Sitz
des guten Lebens lauert das schlechte. Soviel zum guten.

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

19

Wir legten die Schiffe an eiserne Ringe
und verließen den Strand: nicht zu früh,
wie sich zeigte. Der Horizont
stand höher als sonst, an sich

kein schlechter Anblick wie alles
nie Gesehene, flink wie die Robben
stießen wir zu und warfen die Stiefel
lachend ins Meer, das war eine Geste.

Sei’s drum, der Abschied, um den wir nicht wussten,
griff uns ans Herz. Alles vollzog sich
ohne Zutat, wenn du verstehst, da lag
nichts in der Luft, nur die Hitze

spielte verträumt mit sich selbst.
Ohne Berührung, in allen. Leben lebt so.
Stille: gelassen, nicht panisch. Wir querten
das Paradies, drei, vier, fünf Minuten, die
Zeit war nicht zählbar, sie lief,
gleich uns, barfuß davon.

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

20

Na und? Wird ihre Gründe gehabt haben. Wer fragt
die Zeit nach den Gründen. Ein Dummkopf. Sie hat
alle auf einmal. Kein Blatt
fehlt. Nimm keins vor den Mund und schon
bist du geliefert. Der Horizont schien euch hoch? Soso. Hübsche Metapher.
Woher hast du sie? Keine Erregung! Ich sah
sie einmal, in Sète, nicht rotzgrün, nein,
eher schieferblau stand sie über dem weißen
Gemäuer, das, poetisch gesprochen, den Tod barg.
Jedenfalls lagen die Gräber
auf meiner Seite, verschlossen, ein
Marmorregen, niedergegangen
am Fels der Vernunft. Die Vertikale lehrt
dich das Alphabet.
Seh ich auch so. Diese rollende Woge zum Beispiel,
ein reines Rätsel.
Soso. Das Thema
lässt dich nicht los.
Dich vielleicht? Wer sah,
was ich ... nicht sah ... vielleicht ... aus den Trümmern
ermaß, seltsames Wort ... der ... das...
Selber Woge. Du sahst
die Gestalt des Menschen, draußen, über den Wassern.
Das weiß doch jeder.
Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

21

Die Gestalt des Menschen... seltsam wie
eh und je. Schlag nach, schlag zu. Also? Erfunden?
Das auch. Vielleicht. Eher
selten gesichtet... Hier dieser Lappen
ist für Sie. Tut mir leid.
Unter Be-, Be-, die
keiner, der seine Sinne auf halbem Wege
beisammen hat – ja? sagt man so? –, und dabei
ein Stück Verstand sich bewahrt, herbei- ... herbei-
– So schnell kommt man ins Trudeln. Ich wusste,
welche Wendung das nimmt –
... Ins Sinnieren
kommt einer schon. Am Ende der Nahrungskette, wer steht –
ach du Scheiße. Im Humanum ist alles –
Sagte ich doch. Wie im Komm-, Komm-
Komm lass uns gehen. So ein falsches Kommando
macht was her, aber bleibt
schwer zu ergründen. Marke Wohlfeil.
Ja, genau. Weder drin
noch draußen. Drehtür, ein Windfang. Bittschön.
Schon klar. Das Experiment
geht weiter.
Natürlich. Es kann nicht anders. Also
geht es weiter. Kahlfraß. Der nächste Schritt
kassiert die vorigen. Gutes Buch übrigens,
sehr zu empfehlen.
Gelesen?
Halb und halb. Eine Potenz. Ich sage Ihnen –
Ja? Nein, lieber nicht. Wer wen? Kann ich nicht sagen.
Wer wen abräumt, das ist...

Sicher doch. Wir –
Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

22

Was als Mensch anfängt, endet vielleicht
an den Pforten des Paradieses –
Na und? Wird ihm aufgetan?
– endet vielleicht
als heiliges Tier, trottend
unter dem Blick seiner Wärter –
Einspruch! Das geht
scharf an allem vorbei,
was wir wissen, und wissen
können wir viel, zum Beispiel...
– endet vielleicht
am Ausgang der Straße,
im Unwegsamen, vielleicht...
Gibs zu, unter Laborentsprungenen,
ihrem stählernen Griff oder den sanftesten
aller Bedingungen, lautlos.

Ein Gang am Wasser entlang,
das bleibt, retrograd
in den Köpfen, den abgehackten, entschlummerten,
unterm Dach des Gebirgs, kahl, glühend, Pein
für niemand.

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

23

Wenn die Klage endet, stop, dann beginnt... was nur? Du darfst
es ruhig sagen, es ist nichts dabei –
Was du nicht...! Nun, es
bleibt ungesagt. Wie denn nicht?
Auslöser gibt es genug. Sie gehen
allemal leer aus... Denk an die Fälscher,
die von Papier zu Papier
anraunzen gegen die Wut des Erinnerns,
warum denn nicht, frag ich, warum denn
sollten sie anders, wenn sie auch so –! Das beißt.
Die Gräber damals
lagen auf meiner Seite, ein Fakt das,
wenn ich’s dir sag. Sie rührten sich nicht. Kein Hauch
lag auf, nur das offene Lid,
unempfindlich gegen das unentwegt näher –
Fass mich nicht an, du... Sadist... Ich will es nicht wissen.
Hörst du, ich will es nicht wissen. Höchstens, wie alle
da drin, im lockeren Abschied, der kommt,
wenn er kommt, ein Schluchzer für jeden,
trocken, du hörst es, trocken. Die Woge
wären wir selbst, im Zerschellen
platzt die Vision und treibt, ein Krausrand,
rasch aus dem Bild, das bloß im Entweichen, hörst du,
bloß im Entweichen... sichtbar... vielleicht...

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

24

Lass uns noch einmal zurück
kommen auf das Geweste,
das Geunz und Gekraug, wenn du verstehst –
Nein? Du auch nicht? Willst frischen
Atem, Gitarren-
klänge, willst auf-
drehen, wild auf –
ja was denn, komm sag, sag’s mir...
Ach du Teufel, ein Kernstück
drängt sich ins Bild. Da... da haben
wir den Salat. Schön aufessen, Alter. Sei munter.
Ja was hätten wir denn. Scham. Traurige Sache im Grunde,
Schwamm drüber, eh du krepierst, oder?
Stunden fliegen vorbei. Stunden, was sag ich? Tage,
ganze Wochen das Stück. Da: ein Halbjahr. Ein Gemück
tanzt mit dem andern. Großraum, ah ja,
schafft weg.
Schau nicht hin. Einwärts, der Zehblick,
den hattest du früher, bevor
du ausgriffst. Hihi, dem Gesülz
eine Bresche, gibt Kraft, stärkt.
Lass ihn sprechen, den Zeh.
Dumme Geschichte. Hat alles mitgemacht –
schweigend. Jetzt spricht er. Tagaus, tagein, wer soll
so’n Gebrabbel verstehn? Das Fußvolk feixt,
nichts zu machen. Ja? Wohl wahr. Freut uns.
Hat uns gefreut. Guter Zeh. Sei so lieb, trag mich,
guter Zeh. Geh nicht aufs Ganze, ich bitt’.

Wenn du das Rauschen nicht magst, ich stell’s
leiser, schon leiser... leiser... so?... nein?

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

25

Obsessions allemandes. Winter hier herum, Freunde,
das Feuerchen wärmt, es macht
schlapp ein bisschen, es
schnupft und schuppt, da kränkelt
der Süden gelassener, aber der Blick geht
nach Norden, dort schüren die Kurven... bis
kurz vor dem Eismeer. Dem auch
die Festigkeit fehlt, neuerdings. So
kann es kommen, so wird, im Kurvengeflecht,
der Ball präpariert. Ein starkes Stück Arbeit
bereitet sich hier. Ein Beginn, und... diesmal sind alle dabei.

GESINNUNG: NO.
GESCHÄFT: SI.

Härter als mobile phone selling
Ich bitt’, woher kommts denn? Die Zukunft
rast auf uns zu, interessiert Sie das nicht, Sie... Muffel –
Der schöne See: alles trocken. Draußen, da wütet
Mutter Natur, man muss sie besänftigen. Kommt,
wir bringen Geschenke, das wird sie beruhigen.
Ein Prozent, das ist leistbar. Das spannt die Muskeln, es wirkt
tonisch (Herrgott, das Wort!), tonich, jawoll. Ein Opfer
dämpft das andre, in der Bilanz
lässt es sich sehen, ein Blitz
oder ein Blinken, ein Lidschlag.

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

26

Hirnverbrannt, oder? Da stehen Millionen –
leicht träumt sich ein kleiner Verlag –
die Menschen
müssen zusammen, ein Mal,
bisschen Vernunft, nicht schlecht, wär’ nicht
das Schlechteste. (Von dem
wissen wir wenig. Vielgestaltig
stellt es sich her, selbst die Kelle
wechselt täglich, daraus –) ... Europäer! Wer entert
den Planeten von hinten, dreifach?
Ein schwacher
Glanz liegt auf diesem
thebaischen Plunder, ein schwacher. Nichts für ungut. Der Zoll
ward entrichtet. Babel bedarf
des zweiten Versuchs. Jeder
versteht das. Im Deutschen zum Beispiel
babelt es fort, Sprachen
helfen sich selbst. Nicht so Menschen, es stürzt
leichter ein Gaffer ins Netz als der Bote
wohin? Das Gegenufer, es fehlt,
und, ja, der Ruf ist geblieben, der Ruf.

Im Jahr des Schweins Zweiter Teil

Notiz

Diese Verse wurden in den Jahren 2005/06 geschrieben. Sie befassen sich mit Themen, die mich damals stark beschäftigten, darunter Europa, dessen von vielen empfundener Aufbruch in jenen Jahren durch einige sogenannte Weltereignisse empfindlich beeinträchtigt, womöglich auf Dauer vereitelt wurde. Es war eine Zeit der stürzenden Illusionen, wie sie nicht so rasch wieder kommen wird. Verse haben nichts gegen Illusionen, sie verbünden sich mit ihnen auf Zeit, nicht, um mit ihnen zu Grunde zu gehen, sondern um von ihrem Leben Nachricht zu geben, wenn alles vorbei ist. Nein, naiv sind sie nicht, fast wirken sie hier und da etwas gelangweilt angesichts des Eifers, der in ihnen vibriert. Das mag dem einen oder anderen Leser seltsam erscheinen, aber es ist nichts Besonderes. Man nimmt im Vorbeigehen auf, man gibt im Vorbeigehen ab, man achtet auf das, was unbewegt bleibt, wenn die Erregung steigt oder fällt.

Köln 2009

Der Verfasser

Im Jahr des Schweins. Neue Gedichte

Impressum

Ulrich Schödlbauer: Im Jahr des Schweins. Neue Gedichte
Netzfassung: Acta Litterarum 2009/2015
Alle Rechte beim Autor.

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